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Von Kurt Kufner

Es war eine Zeit der Träume. Chromblinkend wie zuckende Blitze. Leder. Schwarz. Trotzdem kam es ihm niemals in den Sinn dass das etwas mit Luxus zu tun haben könnte. Elitäre Normalität. Das Lenkrad - sein verlängerter Arm. Wie eine Prothese aus Mahagoniholz. Er steuerte meist mit links. Die rechte Hand ruhte am Knauf des Steuerknüppels. Was für ein banales Wort für etwas, dass ihm dieses fast schon unmoralische Gefühl von Freiheit gab. Es war als spürte er die pulsierende Vagina einer Frau. Sein rechter Mittelfinger strich immer wieder auf und ab. Spürte die leichte Wölbung nach vorne. Er schaltete in den vierten Gang. War es schon nötig? Wohl kaum. Aber er wollte sie spüren, diese von unten kommende Kraft. Und immer wieder dieses Gefühl von beherrschender Macht wenn er dem brummenden, stampfenden, gewaltigen Motor seinen Willen aufzwang. Wie einem Mustang der gerade zugeritten worden war. Sein Blick fiel auf die runden Instrumentenanzeigen vor ihm. Geschwindigkeit, Drehzahl, Temperatur. Normal. Keine Frage. In der Mittelkonsole lag seine Sonnenbrille, das Etui mit der Pfeife und dem Tabak sowie ein kleines goldenes Feuerzeug mit den eingravierten Anfangsbuchstaben seines Namens.

Seine Freundin hatte es ihm geschenkt. Vor etwa einem halben Jahr. Lisa - mein Gott, wie jung sie war. 22 Jahre trennten sie. Er, ein Mann Mitte vierzig mit graumelierten Schläfen und silberne Strähnen im Haar. Er selbst hielt sich durchaus für attraktiv, interessant. Und er war erfolgreich. Lisa hatte ihn von der ersten Minute an fasziniert.

Es waren ihre Augen. Besser gesagt der Ausdruck darin. Trotz ihrer Jugend lagen Verstehen und Sanftheit in ihrem Blick. Sie war die Sekretärin eines Geschäftspartners und er hatte sie bei einer Tagung vor über einem Jahr in London kennengelernt. Abends einen Drink an der Hotelbar, ein erster gemeinsamer Tanz, eine flüchtige Berührung. Telefonnummern austauschen. Daheim der erste Anruf, ein erneutes Zusammentreffen, die erste gemeinsame Nacht in einem Hotel etwas außerhalb der Stadt. Und plötzlich war er das, was er niemals sein wollte. Einer von vielen. Und daheim? Seine Frau spürte es wohl dass etwas nicht mehr stimmte. Sie sprach ihn einmal darauf an. Übliche Antwort. Stress, ausgelaugt, wichtige Termine. Es werde schon wieder. Judith war klug und sensibel. Wie jede betrogene Ehefrau. Sie war immer sein Zentrum gewesen. Und er hatte nie geglaubt, dass er einmal dieses Zentrum aufgeben oder zumindest aufs Spiel setzen würde. Doch als er sich diesen Traum, der ihn durch die beginnende Dämmerung trug leisten konnte, war es wie eine Kettenreaktion. Neue Bekanntschaften, Partys, Geschäftsessen, immer weniger Zeit für seine Frau und die beiden Kinder.

Carol und Danny waren vierzehn und sechzehn. Und er glaubte trotz allem, ein guter Vater zu sein. Er schaltete die Scheinwerfer ein. Es war als würde ein Titan seine Augen öffnen als die Klappen nach oben fuhren. Fernlicht. Und die beiden Lichtkegel stachen weit nach vorne. Immer dunkler wurde die Welt da draußen. Noch etwa fünfzehn Minuten, dann war er bei Lisa. Er spürte wie das gleichmäßige Motorengeräusch ihn langsam schläfrig machte. Noch mal ein Blick auf die sanft bläulich erleuchteten Anzeigen vor ihm. Alles ok. Er bemerkte es erst beim nochmaligen Hinsehen. Die Temperatur. Das konnte es doch nicht geben. Doch nicht bei diesem Wagen. Doch nicht bei ihm. Er klopfte gegen das Glas. Es war das erste mal seit Beginn der Fahrt, dass er die Hand von der Gangschaltung nahm. Er klopfte noch mal. Nichts. Die Nadel blieb fast ganz rechts stehen und rührte sich nicht. Und dann sah er den Rauch. Ganz leicht zuerst, dann immer stärker drängte er aus den Seitenschlitzen der Motorhaube. Bremsen. Wie ein Blitz schoss es ihm durchs Gehirn. Du musst bremsen. Aber wie sehr er das Pedal auch durchdrückte, der Wagen fuhr immer weiter. Das Motorengeräusch, dass er noch vor kurzem als beruhigend, angenehm, ja einschläfernd empfunden hatte, nahm immer mehr einen bedrohlichen, aggressiven Klang an. Es war kein sanfter, brummender Ton mehr, sondern schwoll immer mehr an zu einem hohen, unangenehmen Zischen. Warum funktionierte nur diese verdammte Bremse nicht? Er drückte noch mal mit aller Kraft durch. Und plötzlich, mit einem entsetzlichen Quietschen verbunden mit einem wuchtigen Schlag kam er zum stehen. Draußen hatte es zu regnen begonnen.

Er klemmte die Aktentasche, in der sich weder wichtige Papiere noch sonst etwas Interessantes befand - außer einer Thermoskanne mit Tee und zwei belegten Broten - unter den Arm, verließ die Straßenbahn und machte sich mit aufgespanntem Regenschirm auf den Weg ins Büro.

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